Astrid und der lange Esstisch - Homeoffice mit Klebeband


Arbeiten bei der Firma

seit vielen Jahren ihr Traumjob.

Und nun?

  


Bild von Vinzent Weinbeer auf Pixabay

Im Rahmen der Corona-Pandemie hat ihr Arbeitgeber fast alle Mitarbeiter*innen in das Homeoffice geschickt. Das geht jetzt bereits über zwei Monate. Niemand sollte sich in der Zentrale aufhalten, wenn es nicht wegen des Besucherverkehrs unbedingt erforderlich war.

 

Astrid, die allein in einer Zwei-Zimmer-Wohnung lebt, räumte also ihren Esstisch für ihren Laptop, einen dienstlich gestellten zusätzlichen Monitor sowie Tastatur und Maus. Auf zwei weiteren Stühlen wurden die wichtigsten Akten aus ihrem Büro platziert. Ein ordentlichen Bürostuhl gab es nicht.

 

Gegessen wurde nun auf der anderen Hälfte des Esstisches. Allein ging dies die ersten Tage; eng wurde es immer, wenn ihr Freund sie besuchte und sie gemeinsam essen wollten. Alles wurde dann irgendwie arrangiert.

 

Richtig problematisch wurde es etwa nach der dritten Woche. Die ständige Sicht auf „die Arbeit“, die Einschränkung beim Essen, Aktenordner im Wohnzimmer – all dies belastete das „Wohnen“ für Astrid doch erheblich.

 

Um eine einigermaßen Trennung von Arbeit und Essen hinzubekommen, klebte Astrid einen breiten Streifen Krepp-Band und teilte damit den Esstisch in eine Büro- und eine Ess-Zone. In die Mitte wurden zusätzlich noch ein paar kleine Blumentöpfe gestellt, als Halt für die Augen. Zum Arbeiten setze sich Astrid an die eine Hälfte des Tisches mit dem Blick ins Zimmer, zum Essen an die andere Hälfte und auf die andere Seite mit dem Blick aus dem Fenster.

 

Es verbesserte die Situation nicht wesentlich. Wenn sie abends Fernsehen schaute, wanderte ihr Blick in der kleinen Wohnung unwillkürlich immer wieder zu ihrem „Arbeitsplatz“. Termindruck, Projekte, die laufen müssen – „ich sollte mich noch einmal an den Laptop setzen.“

 

Nach einer Weile zog sie jedes Wochenende aus und quartierte sich bei ihrem Freund ein. Montag früh fuhr sie wieder in ihre Wohnung, also zur Arbeit. Aber nach weiteren Wochen belastete sie diese Vermischung von Arbeit und Privatsphäre so stark, dass sie jetzt täglich zwischen Wohnung und Freund pendelte.

 

Erschwerend kam dazu, dass in ihrer Firma, das Thema Vertrauen noch nicht angekommen war. Während der gesamten Arbeitszeit, sollte sie Skype offen haben, die Präsenz wurde über Tastaturanschläge bzw. Mausbewegungen überwacht. Rechtlich eigentlich gar nicht zulässig. „Ich hatte ein schlechtes Gewissen, wenn ich auf Toilette war und das Telefon klingelte.“

 

Die Nerven wurden dünner. Sie tröstete sich damit, dass es ihr ja noch viel besser als der Kollegin mit zwei Kindern ging. Hier hing inzwischen der Haussegen richtig schief. Doch dieser Trost wirkte auch nicht mehr, als ihr Chef in einer Video-Konferenz die „Vorteile des Homeoffice“ für die Firma lobte und ankündigte, dieses Arbeitsmodell auch langfristig umsetzen zu wollen.

 

So ging es nicht. Eigentlich hat ihr die Arbeit immer Spaß gemacht – aber nicht so. Es musste eine Lösung her.

 

Astrid hörte sich bei Bekannten und Freunden um und erfuhr, dass sehr viele jetzt im Homeoffice arbeiten (müssen, sollen, wollen), jedoch nicht alle zuhause.

 

Wie geht das denn?

 

Zwei „Homies“ erzählten, dass sie sich in einem Coworking Space eingemietet haben. Jetzt geht es nicht mehr ins Büro in die Nachbarstadt, sondern mit dem Fahrrad in ein Coworking Space im Ort. Sie haben dort einen Schreibtisch und nach Feierabend fahren sie wieder mit dem Fahrrad nach Hause. Eine saubere Trennung von Arbeit und Wohnen – trotz Homeoffice. Sie nannten das „geistige Hygiene“.

 

Für eine von Beiden mietete der Arbeitgeber den Arbeitsplatz, der andere sagte „Ich spare mir die Fahrkosten. Das ist etwa gleich viel, wie der Nutzungsbeitrag im Coworking Space“.

 

„Ja, super – und nun? Wie bekomme ich das denn jetzt hin?“

 

Der wirkungsvollste Tipp kam von einem „Tekki“ aus dem Freundeskreis: „Bei der nächsten morgendlichen Video-Konferenz, wischt Du mal – aus Versehen – die Kamera vom Laptop. Beim „Wiederaufbau“ schwenkst Du die Kamera dann ganz langsam durch Dein Zimmer, vorbei an den Akten auf den Stühlen, vorbei an Deinem Freund, der gerade Spagetti oder sein Nutella-Brötchen an der anderen Tischhälfte ist und über Klebestreifen und Bioschranke. Vielleicht sollte der Fernseher noch laufen, da Dein Freund immer beim Essen Fernsehen schaut.“

 

Gesagt – getan. Die Wirkung war frappierend. In den nächsten zwei Wochen konnten alle Kollegen*innen und auch der Chef mehrere  dieser „Home-Stories“ verfolgen.  Das i-Tüpfelchen war die Oma, die – natürlich auch aus Versehen – morgens im Bademantel ohne Zähne durchs Bild huschte. Alles eben „zuhause“.

 

Die Geschichte mit dem Coworking Space, einem ordentlichen Schreibtisch, eine ruhige Arbeitsatmosphäre, einem abschließbaren Rollcontainer, Bürostuhl und so weiter – dass alles war anschließend fast ein Selbstläufer.

 

Astrid ging morgens zu Fuß zur Arbeit, wurde von anderen Coworker*innen begrüßt, nahm sich einen Kaffee und setzte sich an ihren Arbeitsplatz. In diesem Zusammenhang wurde dann mal auch gleich die permanente Überwachung eingestellt.

 

„Chefchen merkte letztendlich, dass sich die Produktivität erheblich verbesserte und die Kollegen*innen auch einfach besser drauf waren“.

 

Das Klebeband hat Astrid sauber aufgewickelt und in ihre Arbeitstasche gepackt. Wenn´s mal nicht so gut läuft, legt sie es auf den Schreibtisch und freut sich darüber, was sie erreicht hat.

 

Wenn Du auch ein Klebeband in der Tasche hast, schreibe mir und erzähle Deine Geschichte. Ich würde mich freuen.

 

Thomas Wick
Diplom-Verwaltungswirt

 

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